Texte zu Ausstellungs- und Werkkatalogen

 

Die Linie, die Kunst und das Leben 

Dr. Hermann Ühlein, Kunsthistoriker, Mettmann 2023 (Textauszug)

Für Karin Templin-Glees steht das Grundelement jeglicher Bildkomposition im Mittelpunkt ihres Schaffens: die Linie. Allerdings haben wir es nicht mit einfach gezogenen Linien zu tun. Die Künstlerin spricht programmatisch von der Transformation der Linie und sie führt aus: „Was mich an einer Linie grundsätzlich reizt, sind ihre unendlichen Gestaltungsmöglichkeiten, ihre Formbarkeit, ihre Beziehung zur Umgebung sowie die Rolle, die sie im menschlichen Leben spielt. Die Linie wird in der Regel als Bewegung und im Wachstum wahrgenommen, auch wenn man heute dazu übergegangen ist, die Linie eher als etwas Statisches anzusehen.“ (Karin Templin-Glees) Schon ein erster Blick auf die Arbeiten – seien es die Papiercollagen, die Holzkörper, die Aluminium-Objekte oder Knotenpunkte – führt nicht nur einzelne oder mehrere Linien vor Augen, sondern Liniensysteme, ja Linienwelten........

Kontraste

Die Holzkörper stehen beispielhaft für ein wesentliches Merkmal der Kunst von Karin Templin-Glees: Ihre Arbeiten wirken durch Kontraste. Sei es der starke Hell-

Dunkel-Kontrast in den unbunten Holzkörpern, seien es die massiven schwarzen Interventionen im Kontrast zu den vorherrschenden zarten Pastellfarben (Bleu, Rosa, 

Gelb), wodurch in den farbigen Holzkörpern Intensität erzeugt wird.Dieses Prinzip hält die Künstlerin in ihrer Formensprache durch: mal spitz, zackig, mal rund, organisch, mal zart und brüchig, mal stark und massiv, mal parallel, mal quer, mal rhythmisiert oder fortgeführt, mal unterbrochen oder ins Leere laufend. So kann die kontrastreiche Variabilität der Formen Ausdruck sein für Bewegung und Statik zugleich. Das eine kann ins andere übergehen, in beide Richtungen. Farb- und Formkontraste münden nicht in Gegensätze, sondern weisen vielmehr hin auf die Wechselwirkungen zwischen Verbindungen und Unterbrechungen, zwischen Masse und Durchlässigkeit, zwischen Stärke und Fragilität. Auf diese Weise können die Arbeiten von Karin Templin-Glees sowohl Dynamik, Spannung und Energie vermitteln als auch Ruhe, Weite und Perspektive. 

Rezeption

Als Betrachtende nehmen wir all das zunächst unbewusst wahr. Jeder und jede einzelne von uns fängt in anderer Art und Weise an, in diesen Werken Linien und Farbverläufe zu verfolgen oder auf Formkontraste zu reagieren. So stellen wir neue Zusammenhänge her, so lassen wir höchst individuelle Bilder entstehen, gewissermaßen je eigene Linienwelten oder Linienlandschaften, und zwar ganz unabhängig wiederum von den Intentionen der Künstlerin. In diesen Zusammenhang gewinnen nun auch die verspiegelten Flächen des Triptychons neue Bedeutung: Als Betrachtende sind wir nicht nur Mitschöpfende in gewissem Abstand zum Werk, sondern auch buchstäblich Teil des Kunstwerks – wenn auch nur temporär. Nicht nur durch Sehen und Wahrnehmen können wir uns und unsere eigene innere Welt jedoch mit einigen dieser Arbeiten verbinden, sondern auch körperlich: Die Art-Relief-Prints muten nicht nur haptisch an, sie können auch wirklich berührt werden........

 

Wiederholungen erzählen nie das Selbe 

Dr. Hella Nocke-Schrepper, Kunsthistorikerin, Essen 2021 (Textauszug)

Die künstlerischen Arbeiten von Karin Templin-Glees sind mit Malerei, Grafik und Objekten sehr vielseitig. Die gebürtige Gelsenkirchenerin, die seit 2002 in ihrem Atelier in Bochum tätig ist, entwickelte in den letzten Monaten in abstrahierenden Zeichnungen und Objekten eine eigene formale Sprache, um zahlreiche Möglichkeiten und Variationen von Linie und Farbe visuell darzulegen. Das zeigen Arbeiten wie das rote Objekt, das aus zahlreichen Fäden besteht (S. 30, 31). Die Garne entwickeln durch die Verspannung zwischen geschwungenen Gewindestangen ein räumliches Gebilde mit starken optischen Bewegungen. Je nach Standort wechselt das Objekt sein Aussehen – es gibt tatsächlich keine Hauptansicht oder klassische „Schauseite“. Bewegt sich der Betrachter vor dem Objekt mit Blick auf die Fäden, wird er zahlreiche Überschneidungen und deren bewegtes Wechselspiel unmittelbar beobachten können. Hier zeigt sich die dynamische Qualität der Objekte Templin-Glees´, die an Effekte der sogenannten Optical Art der 1950er Jahre erinnern. Kommt die Sonne hervor beginnt ein zusätzliches lebendiges Spiel mit Licht und Schatten, das die (sich vielfach überschneidenden) Linienkonstellation initiieren.

Die strahlenförmig gespannten Fäden erinnern formal an Arbeiten der russischen Konstruktivisten Antoine Pevsner (1884 – 1962) und Naum Gabo (1890 – 1977). Sie setzten abstrakte Flächen und Formsegmente aus modernen Materialien wie Acrylglas und Aluminium zu halbtransparenten räumlichen Gebilden zusammen und stellten seit den 1920er Jahren den klassischen Begriff der >Plastik< in Frage. Neben einer neuen offenen Raum- und Körperauffassung ist die Dynamik sich kreuzender Linien und Formen ein charakteristisches Element ihrer Konstruktionen.

Templin-Glees geht von ihrem eigenen Konzept aus: Ihre Formsprache basiert auf der Linie, ihren Bewegungen und den daraus resultierenden Gestaltungsmöglichkeiten. 2020 entwickelte die Künstlerin konzeptionell die Blindzeichnung als Ausgangspunkt ihrer Kompositionen: Zwei Linien, mit geschlossenen Augen aber konzentriert mit Grafitstift auf das Blatt gesetzt, liefern ein „architektonisches Gerüst“, um eine abstrakte Komposition weiter zu entwickeln. Dazu werden die gezeichneten Kurven in einem zweiten Schritt mit zahlreichen parallelen Linien verbunden. Es entstehen Flächen, die sich überschneiden, durchdringen und ein räumliches Gebilde hervorbringen. Die Künstlerin betont, dass sie während des Zeichenprozesses bei allen sich eröffnenden Möglichkeiten immer wieder „eine formale Entscheidung treffen müsse" und eine Bildpartie mit der Setzung der Linien neu definiere. Die Verbindung des Zufallsmomentes (Blindzeichnung) mit der weiterführenden geplanten Gestaltung (Lineamente als Setzung) zeigt die beiden grundsätzlichen Pole künstlerischer Arbeit auf: Intuition und Konstruktion... 

Die autonome oder poetische Linie in Bild und Raum 

Dr. Britta Bley, Kunsthistorikerin, Dortmund 2019 (Textauszug)

Karin Templin-Glees beschäftigt sich seit langem mit der Linie und ihren vielfältigen Erscheinungsformen. Künstler entwickelten immer wieder neue Darstellungsformen und spiegeln die jeweilige Kunst und ihre Gesellschaft wider. Das 20. Jahrhundert hat mit seiner Formensprache der Abstraktion einen weitreichenden, noch heute gültigen Impuls gegeben. Die Linie und deren vielfältigen Variationen visuell in Form, Farbe und Material umzusetzen und ihnen Raum zu geben hat sich Karin Templin-Glees verschrieben. Ihr gelingt es, mit ihren Werken immer wieder neue Aspekte hinzuzufügen. 

In den Arbeiten der letzten drei Jahre erobert Karin Templin-Glees sich zunehmend den Raum. Die Linie selbst weckt Empfindungen, das kontrastierende Arbeiten führt zu einer nicht gekannten Räumlichkeit, die im »Alu Dibond Schnitt» von 2018 verwirklicht wurde. Die Liebe zum Material und deren haptische Eigenschaften werden hier deutlich. Wie zufällig beanspruchen gerissenen Kanten in der Fläche eine andere Dimension. Die herausgeschnittenen Teile überführte die Künstlerin in ein raumgreifendes Objekt, dessen Allansichtigkeit immer wieder auf’s Neue fasziniert und erlebbar wird. Kompositionen aus demselben Material erfahren durch verschiedene Anordnungen eine Vielseitigkeit für den Betrachter. Indem Karin Templin-Glees die Linie in die Fläche integriert, verortet sie diese gleichzeitig im erweiterten Raum..........

Die gewählten Farben lassen den Werken etwas Meditative und in sich Ruhendes zukommen. Die Linie wird mit Vertrautem verbunden, räumlich und gegenständlich erfasst, Farben unterstützen eigene Ideen und Gedanken, Werktitel geben Orientierung. Die oft mehrteiligen Werke erlauben einen individuellen und experimentellen Umgang in der Präsentation und verändern das Raumgefüge. In all ihren Arbeiten bleibt die Suche nach dem Wesentlichen, das Verhältnis zwischen Form und Linie spürbar. Die Offenheit für das Material unterstützt diesen Weg und eröffnet für die Zukunft weitere spannende Aspekte der Linie. 

Leibpoesie in Bild und Raum    

Ronja Bayer, Kunsthistorikerin, Stuttgart 2017 (Textauszug)

 ...unter dem Titel „Leibpoesie in Bild und Raum“ präsentiert Karin Templin-Glees im MUSEUM MODERN ART in Hünfeld eine eindrucksvolle Serie von Gemälden, Collagen und

Raumobjekten. Die Arbeiten aus der Serie der „Leibreflektionen“ umkreisen ein zentrales Sujet im OEuvre der Künstlerin: die Leiblichkeit. Karin Templin-Glees konzentriert sich in der abstrakten Darstellung von Körperlichkeit auf das Wesentliche einer Wahrnehmung. In der Befreiung von unnötigen Details, in der Darstellung von Körperausschnitten ohne jegliche Verstellung liegt die besondere Anziehungskraft dieser Arbeiten.

2015 hat sich Karin Templin-Glees in einer umfangreichen Serie großformatiger Leinwandgemälde dem menschlichen Leib gewidmet. Eine von einem durchleuchteten Kolorit getragene Stimmung prägt den Charakter dieser Gemälde. In hellen, changierenden Brauntönen, von dunklen Partien akzentuiert, werden vor zarten blauen Hintergründen die Ausschnitte nackter menschlicher Körper vor Augen geführt. Über Geste und Rhythmus allein verbildlichen sich Farben, Farbflächen und Farbkontraste zu einer gegenständlichen Kontur.  Zu den Gemälden gesellt sich in der Ausstellung eine Reihe von Vorstudien auf Papier. Auf großflächigen Packpapierbahnen geht die Künstlerin einen Dialog mit dem Material ein. Die Papierbahnen werden zusammengerollt und mit Nadel und Faden vernäht, so dass sie als raumgreifende Installationen einen eigenen, von der ursprünglichen Funktion der Studienblätter gelösten Stellenwert  beanspruchen.

Jüngst hat Karin Templin-Glees eine Erweiterung der „Leibreflektionen“ vorgenommen, deren Ergebnis ebenfalls in der Ausstellung zu sehen sein wird. Es handelt sich um zarte Collagen

aus Transparentpapier und um Raumobjekte, die mit filigranen Kleiderbügeln montiert das Dreidimensionale erobern. In expressiver Manier überlagern sich geschnittene Papierschichten.

Eine neue Farbigkeit bereichert die luftige und erdige Palette der früheren Gemälde. Warme, rötliche Töne, ein kräftiges Blau-Grün sowie schwarze Partien heben sich kontrastreich vor der

milchig-weißen, durchscheinenden Haptik des Transparentpapiers ab. Der aus den Vorstudien bekannte Einsatz von Nadel und Faden findet auf eine neue, überraschende Weise Verwendung: Das Papier ist von filigranen Nadelstichen aus Faden und Garn durchzogen, die als Linien – mal gerade, mal zackig, mal schwungvoll gebogen – auf dem Papier tanzen. Templin-Glees beschäftigt sich dabei mit der autonomen Linie, die sie ganz bewusst einsetzt, um das Thema der Serie um eine poetische Bedeutungsebene zu erweitern. Durch das transluzente Trägermaterial und die feinen Verläufe der genähten Linien bestechen diese jüngsten Arbeiten durch eine filigrane, durchscheinende Zartheit, die den Betrachter in den Bann zu ziehen vermag.

eidoformas - eine Variable für...  

Jörg Loskill, Kulturkritiker, Gelsenkirchen 2017 (Textauszug)

Ruhe, Stille, Konzentration, großzügige Raum- und Objektverteilung, Meditation... der anderen Art. Kunst wird auf dieser kontemplativen Welle in die Situation im „Domizil“, aber auch in unsere Sinne, unsere Herzen, unsere Seelen, in unsere private Wirklichkeit geschwemmt. Wie ein weiches, samtenes Polster gegen die Hektik und Oberflächlichkeit unserer aktuellen Welt....  Das gilt für die Bilder, Zeichnungen und das textile Objekt von Karin Templin-Glees.

Es steht mitten im scheinbar bezuglosen Raum: ein Kleid, eine Haut, ein stoffliches Wesen aus Transparentmaterial, aus einem filigranen, gemusterten Netzwerk und aus Überzügen. Das Ganze bildet eine anonyme, abstrakte Figur – eine Frau, das „alter ego“ der Konstrukteurin, eine feminine Utopie oder eine von allen Regeln losgelöste Alternative menschlicher Konditionen. Also eine „bella figura“ ohne „bella“ im Sinne einer modischen Variation in der Gegenwart. Aber eben auch ein „Spiel-Zeug“ für eine Idee. Das Zauberwort zur Entdeckung eines künstlerischen Prozesses lautet das „Ambivalente“ – etwas Offenes und Verstecktes, etwas Großzügiges und etwas Reduziertes, etwas von Bekleidung und etwas von Entkleidung. Der Dialog ist damit gesichert.

Dieses Prinzip führt Karin Templin-Glees in ihren Bildern konsequent und lebhaft weiter – stark reduzierte Körperlandschaften, die in freier Lineatur münden, oder die nur noch durch wenige Farben ahnen lassen, dass sich hinter der schönen Farbfassade menschliche Körper wie in der Archäologie freilegen lassen.

Ein nächster Schwerpunkt ihrer aktuellen Arbeit sind kleinformatige Zeichnungen, meist in Vierergruppen zusammengefügt (hinterer Raum): Skizzen voller Fantasie, voller Ambivalenz, voller Innigkeit und Wärme, voller gedanklicher Intensität, mit Rückbezügen oder einfach als spontane Intuition. Eine Mischung aus Perspektive und Symmetrie, aus Masse und deren fröhliche Auflösung, aus Geheimnis und leiblicher Offenlegung – das Konzept einer Künstlerin, die mit Werten, Fragen und Bedeutungen spielt....

Bilder und Objekte führen uns elegant und gezielt in Schau-Räume ambivalenter Haltungen – vom Ich zum Du und schließlich zum Wir. Ein spannender, stringenter Prozess mit verschiedenen Materialien, in denen wir ein Stück von uns selbst erkennen dürfen. Beide führen uns aber auch in gewisser Weise „hinters Licht“: Denn das gesehene Einfache hat eine Kehrseite – und die ist atemberaubend anders. Und meist mit einer rätselhaften Seite verbunden. Neo Rauch, der deutsche Superstar der Neuen Sachlichkeit, sagte einmal im Interview: „Kunst heißt: anders denken.“ Dem ist nichts hier und heute hinzuzufügen.

ideopsis humana - Frage nach der Identität   

Carsten Roth, Kunsthistoriker, Bochum 2014 (Textauszug)

 Bildliche Reflexionen über das menschliche Gesicht sind es, mit denen Karin Templin-Glees die Betrachter ihrer „ideopsis humana“ konfrontiert.  Ihr Verfahren steht dem des altmeisterlichen „Tronie“ oder „Tronje“ nahe.  Diese Herangehensweise lässt sich mit einem Schöpfungsprozess vergleichen, bei dem eine Galerie intuitiv Erfundener, aus der Vorstellung Erschaffener entstand. In diesem Sinne vergleicht Templin-Glees das Malen ihrer „ideopsis humana“ mit plastischen Arbeiten, so als handle es sich um ein Modellieren mit dem Pinsel. Durch aneinander stoßende Farbflächen und Hell-Dunkel-Kontraste ergeben sich zuweilen kantige und kubische Formen, die Räumlichkeit evozieren und reliefhaft anmuten. Intention ist es, dass der Betrachter die Bilder mit den Augen im wahrsten Sinne des Wortes „begreifen“ kann. Die Antlitze entstanden ohne Modelle oder fotografische Vorlagen. Ihre skizzierende Uneindeutigkeit bewirkt Ambivalenz, so dass man aus einem Antlitz hier Sympathie, dort das Gegenteil zu ersehen vermag. Das Diffuse wirkt sich auf die Anschauung aus: Zum einen fühlt man sich im Vorbeigehen zuweilen von den Dargestellten „beobachtet“, weil deren Blick dem Betrachter zu folgen scheint, zum anderen verändert der Betrachterabstand die Wahrnehmung, denn je weiter man sich vom Bild entfernt, umso besser werden Details erkennbar. Und so vereinen sich in diesen Kompositionen Gegensätze wie Nähe und Ferne, Malerei und Zeichnung, Klarheit und Unschärfe, Körperhaftes und Transparenz.

Karin Templin-Glees animiert durch ihre summarische archaisch grobe Malweise zu einem assoziativen Deutungsprozess, der eine kontemplative Verbindung zwischen Dargestelltem und Betrachter beabsichtigt.  Äußeren Schein und Ideale will  Karin Templin-Glees nicht abkonterfeien, sondern „unter die Haut“ vordringen, um vom Menschen das zu zeigen, was man nicht auf den ersten Blick sieht. In einer Sinnübertragung könnte man ihre Charakterköpfe, die etwas von den Ecken, Kanten und Macken eines Individuums verraten, als Ideogramme bezeichnen. Ideografie ist eine Schrift aus stilisierten Bildern, die – wie die Pseudoporträts der „ideopsis humana“ – nicht für den abgebildeten Gegenstand, sondern für eine damit verbundene Idee und Vorstellung stehen. Und das ist die „Idee vom Menschen“.                                                                                                                                   

Bildnisse - Reflexionen leiblicher Identität   

Ronja Noeckel, Kunsthistorikerin, Stuttgart 2016 (Textauszug)

 Malerei und Installation von Karin Templin-Glees in der Hagenring-Galerie, Hagen

...Templin-Glees konzentriert sich in der Darstellung von Körperlichkeit auf das Wesentliche einer Wahrnehmung. In der Befreiung von unnötigen Details, in der Darstellung der Körperausschnitte ohne jegliche Verstellung liegt die besondere und wohltuende Frische der Arbeiten. Eines der Bilder aus der Serie erinnert mit seinen abstrakten Formen an eine

archaische Vase, einem Artefakt der menschlichen Frühzeit. Das Bild des menschlichen Körpers als Gefäß wird assoziiert. Diese Metaphorik beschreibt den Körper als Behälter, der dem Zweck dient, einen Inhalt unterschiedlicher Stofflichkeit zu bewahren und von seiner Umwelt zu trennen. Es manifestieren sich die Abgeschlossenheit und Kostbarkeit des Körpers.

Die Vorstudien - Installationen aus Papier

...Die Vorstudien auf Papier werden zusammengerollt und mit Nadel und Faden vernäht. Auf diese Weise entstehen raumgreifende Papierinstallationen, in denen sich die Studienblätter

von ihrer ursprünglichen Funktion befreien und einen neuen, eigenen Stellenwert beanspruchen. ...Die zusammengerollten Papierbahnen erinnern an Schriftrollen, jene Pergamentbahnen des

Altertums, jahrtausendealte Träger von Gedanken und Informationen. Die einzelnen bildkünstlerischen Medien Malerei, Grafik und Installation gehen dabei eine Einheit ein. Die Künstlerin spielt mit den verschiedenen Sparten und vermag diese miteinander zu verknüpfen. Ergebnis ist ein interdisziplinäres Experiment. 

ideopsis humana - die Frage nach der Identität

...In den Bildnissen von Templin-Glees liegt die große Ausdrucksstärke in der Reduktion. Alles

Überflüssige entfällt. Dadurch stößt die Künstlerin zum Wesentlichen vor. ...Die Bildnisse sind nicht im eigentlichen Sinn als Porträts zu bezeichnen, denn sie kennen keine benennbaren, leibhaftigen Vorbilder, nach denen sie geschaffen sind. Vielmehr verdichtet die Künstlerin eine generelle Form des Menschen zu einem bildnerischen Konzentrat. Wenngleich ihr Motiv von der menschlichen Erscheinung als solche ausgeht, wird in der Darstellung das Vorbild nicht sklavisch abgekupfert. Im Malvorgang manifestiert sich vielmehr ein eigenständiges malerisches Gebilde, das aufgrund seiner Entstehung einmalig und nicht wiederholbar ist. Als neues, so niemals vorher und nachher existierendes Wesen erhält es im Vorgang der Malerei seine Individualität.

Leibreflexion    

Georg Späh, Pastor, Gelsenkirchen 2015 (Textauszug)

 ...In den Bildern von Karin Templin-Glees wird diese Ehrfurcht vor dem Leib deutlich. Und

das, gerade weil diese Leiber keinen Idealvorstellungen gehorchen – nicht der der griechischen Kunst vom vollkommenen Menschen, nicht denen der Laufstege und Hochglanzmagazine - werden sie zu Ikonen des Menschlichen schlechthin, wozu ja auch immer die Unvollkommenheit, die Begrenztheit, die Vieldeutigkeit und die Rätselhaftigkeit gehören (vgl. zum letzteren besonders Werkverzeichnis 396). Im ganzen hier behandelten Werk überwiegen zwei Farben. Das braune Erdhafte, das gelegentlich mehr oder weniger stark umfangen und durchstrahlt wird von einem zarten Blau. Der Mensch ist in seinem Sichtbaren ein Wesen dieser Erde. Mit seinem Leib – womit auch sonst? Er hat kein anderes Gestaltungsmedium - hinterlässt er Spuren in dieser Welt. An seinem ganz konkreten Leib kann er erkannt werden, mit diesem Leib identifiziert werden. Das Blau verweist auf die biologische Herkunft allen Lebens - und damit auch des

menschlichen - aus dem Wasser. Es könnte darüber hinaus auch die Frage offen halten nach Zukunft und Ziel des Menschen und so noch einmal über das Braun der Erde hinaus weisen

und es tranzendieren hin zu einer Wirklichkeit, die das bloß irdische übersteigt und unserer Spekulation nicht zugänglich ist.

figura diversa - Allegorie über das sowohl als auch

Regine Skudelny, Herscheid 2014 (Textauszug)

...Schon beim ersten Durchblättern des Kataloges wird deutlich, wie die Künstlerin hier auf mehreren Ebenen mit den Kategorien eines Sowohl-als-auch spielt:

Fläche, aber auch Kontur. Klare Form, aber auch Verwischtes. Flächige Darstellung, aber auch Raum und Plastizität. Licht und Helligkeit, aber auch Dunkles und

Düsteres. Gegenständliches, aber auch Abstraktes. Heißt sowohl-als-auch von allem etwas? Ist es eine Absage ans Eindeutige und Offensichtliche? Oder soll die

Bildaussage im Ungefähren bleiben?

.... Die Künstlerin lässt uns erkennen, dass wir uns einer Täuschung hingeben. Sowohl-als-auch wandelt sich drastisch in ein Entweder -oder..... So erweist sich „figura  diversa“ als eine Allegorie über den Widerspruch, gut versteckt im sowohl-als-auch.